Die Dokumentation der Opfer der NS-Herrschaft
in der Stadt Hameln und im Landkreis Hameln-Pyrmont
Derks, Johannes
Niederländer, wurde am 17. Mai 1911 geboren. Sein Geburts- und Wohnort sind unbekannt. Er war von Beruf Händler.
Als Widerstandskämpfer saß Derks vermutlich seit 1943 in Haft. Wie viele niederländische „Politische“ kam er im Zuge der Räumung frontnaher Strafanstalten im Westen mit einem vielköpfigen Sammeltransport aus dem Zuchthaus Remscheid-Lüttringhausen am 2. November 1944 in das Zuchthaus Hameln.
Jan Derks starb am 3. Dezember 1944 in seiner Zelle im Zuchthaus und wurde auf dem Friedhof Wehl bestattet (F I/106). Von seiner Umbettung in den Nachkriegsjahren ist auszugehen.
Sein niederländischer Mitgefangener Dirk Schortinghuis beschreibt seinen Tod im Kreise seiner Landsleute:
„Gegen Ende November (1944, d.Verf.) wird Jan Derks krank. Während seiner ganzen Gefangenschaft machte er, wenn ich ihn sah, schon nicht mehr den starken und gesunden Eindruck früherer Tage auf mich. Als ich Anfang November im Saal zufällig neben ihm saß, zeigte er sich müde und matt in seinen Gesprächen, obwohl der alte Geist noch nicht aus ihm gewichen war. Er isst schlecht, lässt von seinen Portionen einen Rest liegen. In der letzten Novemberwoche wird er taumelig und schwach, so dass er es nur noch mit Mühe schafft, von seinem oberen Bett herunterzukommen. Er wird nach unten verlagert, wo Paul Gulikers und Harry Tobben sich als Krankenpfleger hervorragend um ihn kümmern. Mit äußerster Kraftanstrengung schleppt er sich noch einmal zum Arzt, von dem er unverrichteter Dinge zurückkehrt. Die Schwäche nimmt Tag für Tag zu. Wir geben ihm Leckerbissen, und es ist immer ein Reservevorrat an Nahrung für ihn da.
Mit viel Mühe erreichen wir es, dass Dr. Bolle, der holländische Assistent, ihn untersucht. Er hielt die Krankheit für nichts anderes als eine normal nach der Ruhr auftretende Schwäche. Dann schaffen wir es, Schimmel, einen holländischen Mitgefangenen, in den Saal kommen zu lassen, dessen Urteil sofort feststeht: Entweder ins Krankenhaus oder tot. Wir tun noch alles, was in unseren Kräften steht, um für ihn einen Platz im Krankenhaus zu bekommen, aber der Versuch misslingt.
Danach bin ich noch kurz bei Jan, der die volle Gewissheit hat, dass er sterben wird. Er bittet mich und Harry und Paul, seine Eltern und die Jungen zu grüßen. Ich versuche noch, ihn zu ermuntern, denn seine Gelassenheit und Hingabe sind mir zu groß. Er führt keinen Kampf mehr für das Leben. Einem von uns hat er noch gesagt, dass es ihm leid tue, jetzt so sterben zu müssen und nicht damals vor einem Erschießungskommando. Er sehnt sich nach dem Ende, weil er sich nicht sicher ist, ob er inmitten der Banalitäten der Freiheit fähig sein wird, die jetzige Höhe seines Geistes- und Glaubenslebens beizubehalten. Die Nacht vom Samstag zum Sonntag wird furchtbar. Das Atmen fällt ihm immer schwerer. Gegen Morgen wird es still. Ich fühle den Puls. Das Herz schlägt nicht mehr.
Harry und Paul versorgen den Leichnam, was noch gerade möglich ist, denn wenige Minuten, nachdem wir den Wachtmeister informiert hatten, steht man schon vor der Tür, um ihn wegzuholen. Als Jan noch lebte, haben wir tagelang um ärztlichen Beistand betteln müssen, bis endlich Assistent Bolle einmal zur Untersuchung erschien.
Es war der 3. Dezember, als durch Jan Derks’ Tod unsere Gemeinschaft um eine Person verringert wurde. Einen Augenblick lang gibt es eine Leere, aber das Schicksal, das Jan Derks getroffen hat, bleibt in unserer Nähe. Erst jetzt offenbart sich uns das ganze Gewicht seiner Gegenwart und wir fühlen uns wie an die Wand gedrängte, armselige kleine Menschlein, abwartend, wer der nächste sein wird.“
Gruppenzugehörigkeit: Zuchthausgefangene / Hameln