NS-Täter

Das „Goltzhaus“ – Die Geschichte eines Hauses

Das Haus Bennigsenstraße 5 wurde 1913 vom Bund Jungdeutschland (BJD) errichtet, dem 1911 vom Reichskriegsminister gegründeten und großzügig finanzierten national-konservativen Dachverband der „vaterländischen“ Jugendverbände. Zunächst wurden darin die Wandervogelbünde vereinigt, dann schlossen sich der Deutsche Pfadfinderbund, die Deutsche Turnerschaft und der Deutsche Fußballbund an. 1912 traten auch die katholischen Jugendvereine bei. Von der staatlichen Förderung ausgegrenzt waren ausdrücklich die sozialistischen Jugendverbände.

Kurz nach Gründung der Ortsgruppe Hameln des „Jungdeutschlandbundes“ 1911 durch Hauptmann Karwiese wurde mit der Planung für ein eigenes Jugendhaus begonnen. Die Stadt stellte dafür ein 650 Quadratmeter großes Grundstück an der Bennigsenstraße kostenlos zur Verfügung und übernahm sowohl die Bürgschaft für ein Darlehen als auch dessen Tilgung.

Der erste Spatenstich für das „Jungdeutschlandhaus“, wie es zunächst bezeichnet wurde, erfolgte am 1. Juli 1912. Planung und Bauleitung übernahm Architekt R. Heuser; Haus- und Dachziegel lieferte der Ziegeleibesitzer J. Tönebön unter vorläufigem Verzicht auf Barzahlung. Ebenso wurden die Maurer-, Zimmerer- und Eisenbetonarbeiten von Architekt L. Menzel ausgeführt, der zusätzlich 50 eichene Holzpfähle für das Fundament im alten Hamelbett kostenlos beisteuerte. Auch die übrigen am Bau beteiligten Handwerksmeister erhielten zunächst nur Abschlagszahlungen und stundeten dem Bund die Restzahlungen bis zum nächsten Frühjahr.

Schon im Januar 1913 konnte die „herrschaftliche Wohnung mit sieben Zimmern“ und eigenem Eingang im Seitenflügel an den Medizinalrat und königlichen Kreisarzt Dr. Mennicke vermietet werden, während die Räume im Hauptteil des Hauses danach noch weiter ausgebaut wurden. Für die Wohnung wurde eine Mieteinnahme von 1.600,- Mark (einschließlich Heizung) erzielt. Von 1925 bis 1936 unterhielt der Facharzt für Chirurgie Dr. O.H. Petersen dort seine Praxis.

 
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Durch das Hauptportal gelangte man in die Diele mit Zugang zum Lesesaal und dem anschließenden großen Saal (15 Meter lang und 6,60 Meter breit) mit Platz für etwa 200 Besucher sowie zu zwei Erfrischungsräumen, der Bibliothek und einem Büroraum mit der Bibliothek der Abteilung Hameln der Deutschen Kolonialgesellschaft. Das Treppenhaus führte zu den vier Zimmern über dem Saal und den weiteren Wohnungen im zweiten Obergeschoss.

Im Kellergeschoß wurde eine größere Küche eingerichtet, in der im Rahmen der „Jugendpflege“ auch weibliche Helferinnen ausgebildet werden sollten. Eine „Badeanstalt“ mit Duschen und einem Bassinbad diente der allgemeinen Körperpflege, mit jeweils getrennten Besuchszeiten für Erwachsene, Jungen, Frauen und Mädchen.

Am 27. April 1913 wurde das Haus im Rahmen eines Festaktes im Beisein des Vorsitzenden des Jungdeutschlandbundes und Namensgebers, Feldmarschall Freiherr Colmar von der Goltz (1843-1916) eingeweiht und seitdem als „Goltzhaus“ bezeichnet. Von der Goltz war als Reorganisator der Osmanischen Armee (1883-96) zum Marschall ernannt worden und trug in Erinnerung daran den Beinamen „Goltz-Pascha“. Sein Konterfei als Bronzemedaillon über dem Eingangsportal schuf der Bildhauer A. Kattentidt, ebenfalls unentgeltlich.

Seiner Einladung an Magistrat und Bürgervorsteherkollegium zur Teilnahme an dieser Veranstaltung setzte der Führer der Ortsgruppe, Hauptmann Karwiese, folgende Bitten voran: Befreiung von städtischen Abgaben für die der Jugendpflege vorbehaltenen Räume; Lieferung von Gas und Wasser zum Selbstkostenpreis; Genehmigung einer „Freiflamme“ über dem Eingangsportal, da es damals noch keine städtische Beleuchtung in der Bennigsenstraße gab.

Als Vorsitzender des BJD empfahl von der Goltz den deutschen Eltern:

„Erzieht eure Kinde im kriegerischen Geist und impfet ihnen vom frühesten Alter an Liebe zum Vaterland ein, für das sie sich vielleicht einmal opfern müssen.“

Ziel des BJD war es, die noch nicht wehrpflichtige Jugend dem Einfluss der Sozialdemokratie zu entziehen. Von der Goltz scheiterte jedoch an dem hochgesteckten Anspruch der Nationalkonservativen, das aktive Offizierskorps für diesen jugendpolitischen Einsatz zu gewinnen. 1914 zählte der BJD zwar 750.000 Mitglieder, von der Goltz war es jedoch nicht gelungen, die benötigten 57.000 Führer zu rekrutieren.

Der Bund Jungdeutschland residierte noch bis 1926 im Goltzhaus, obwohl er seine Funktion als national-konservativer Dachverband nach dem Ersten Weltkrieg verloren hatte. Die Wandervogel- und die Pfadfinderverbände hatten sich von ihren ehemaligen „vaterländischen“ Führungs- und Leitungskräften gelöst und sich zum Teil im Jungnationalen Bund neu zusammengefunden; auch der vormilitärisch ausgerichtete Deutschnationale Jugendbund ging bis zu seiner Auflösung bzw. Eingliederung in die Hitlerjugend seinen eigenen Weg.

Nach dem Jungdeutschlandbund übernahm die „Deutsche Kriegerwohl-Gemeinschaft“ im Kyffhäuserbund das Goltzhaus. Der Kyffhäuserbund hatte den Bund Jungdeutschland bereits seit dessen Gründung unterstützt. Nach 1928 hatten die Kyffhäuser-Jugendgruppen im Landwehrverband Südhannover-Braunschweig auch in Hameln eine eigene Jugendabteilung mit vier Kameradschaften aufgebaut, die 1933 „gleichgeschaltet“ und in die Hitlerjugend überführt wurde.

 
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Ab 1941 war das Goltzhaus Sitz der NSDAP-Kreisleitung und wurde auch als Heim für das „Karl-Dincklage-Werk“ genutzt, das 1940 von NS-Gauleiter Hartmann Lauterbacher als Hilfsinstitution für die Versorgung an der Front und im Land eingesetzter Soldaten und deren Angehörigen gegründet worden war.

1945 beschlagnahmte die britische Militärregierung das Haus Bennigsenstr. 5 als Amtssitz für den Stadtkommandanten. Bis 1955 war das Bronzemedaillon mit dem Porträt des GFM von der Goltz zugedeckt – immerhin hatte dieser als Kommandeur der 6. türkischen Armee 1916 die englischen Truppen in der Festung Kut-el-amara am Euphrat zur Kapitulation gezwungen.

Ab 1956 hat die Kreisverwaltung Hameln-Pyrmont die Amtsräume genutzt, u.a. für das Ausländeramt. Seit 2006 ist das Haus in Privateigentum.

 


 

Quellen:

  1. Jungdeutschland – Bezirksverband Hameln, Festschrift zur Einweihung des Goltzhauses in Hameln durch seine Exzellenz, den Herrn Generalfeldmarschall Freiherr von der Goltz am 27. April 1913 (Stadtarchiv Hameln Best. 1, Acc. 1, Nr. 1838)

  2. Artikel „Ihr Wandervögel in der Luft...“ von StR Heynacher, in DEWEZET vom 2. Juli 1955

  3. Hermann Giesecke, Vom Wandervogel bis zur Hitlerjugend - Jugendarbeit zwischen Politik und Pädagogik, München: Juventa-Verlag 1981

  4. Werner Bethge: Bund Jungdeutschland (BJD). in Dieter Fricke (Hrsg.): Die bürgerlichen Parteien in Deutschland, Handbuch der Geschichte der bürgerlichen Parteien und anderer bürgerlicher Interessenorganisationen vom Vormärz bis zum Jahre 1945. Bd. 1, Leipzig 1968
     

Zum aktualisierten Hintergrundtext Bund Jungdeutschland (BJD) im PDF-Format

 
Autor: Wilfried Altkrüger
 

 
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