Ortsbilder

Verluste und Gefährdungen am Beispiel des Ostertorwalls

Ein Stadtraum, der uns besondere Sorge bereitet, ist der Gürtel der Wallstraßen, der die Altstadt umschließt und vor allem durch gründerzeitliche Villen- und Mietshausarchitektur gekennzeichnet ist. Exemplarisch soll das Augenmerk auf den Ostertorwall und speziell auf den Abschnitt zwischen Deisterallee und Bismarckstraße gerichtet werden. Hier hat es in den vergangenen Jahrzehnten eine Reihe von Abbrüchen gegeben, die nicht nur einen schmerzlichen Verlust wertvoller Bausubstanz bedeuteten, sondern jedes Mal neue sichtbare Lücken zwischen den Häusern hinterließen.

Wie sehr das Erscheinungsbild des Ostertorwalls gelitten hat, soll eine kleine Auswahl unterschiedlich alter Ansichten verdeutlichen. Ein Foto vom Beginn des 20. Jahrhunderts zeigt die der Altstadt abgewandte Straßenseite des Ostertorwalls nach Nordosten mit Blick Richtung Deisterallee.

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Der Ostertorwall um 1900 (Quelle: G. Fließ und A. Ostermeyer, Hameln
damals. Die Rattenfängerstadt um die Jahrhundertwende in 137 Bildern.
Hameln 1977, S. 122)
 
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Der Ostertorwall im Jahre 2009 (Foto: Joachim Schween)

Hinter den Bäumen einer Lindenallee hervorschauend sehen wir von links nach rechts das 1899 errichtete Krückeberg’sche Haus an der Ecke zur Deisterallee sowie die Giebel zweier Jugendstilhäuser aus dem Jahr 1904. Daneben erhebt sich der Turm der 1866 im Stil der Neugotik errichteten katholischen Kirche. Am rechten Bildrand ist ein prächtiges Gebäude aus der Gründerzeit zu erkennen. Es ist das 1889-1890 in den Formen der Neorenaissance an der Ecke Ostertorwall / Wilhelmstraße errichtete Wohn- und Geschäftshaus des jüdischen Pferdehändlers Salomon Goldstein und seiner Familie.

Eine erste einschneidende Veränderung des Straßenbildes, das – wie der überwiegende Teil der Hamelner Altstadt – ohne Schäden den Zweiten Weltkrieg überstanden hatte, bedeutete 1955 die Opferung der Lindenallee des Ostertorwalls zugunsten des vierspurigen Ausbaus der Fahrbahn. 1965 wurde der prächtige Neorenaissance-Schmuck des ehemaligen Goldstein-Hauses (seit 1934 nicht mehr im Besitz der Goldsteins) im Zuge einer Sanierung von der Fassade abgeschlagen und die markante Spitze des Eckturmes gekappt. 1985/86 schließlich kam es zum Abbruch der katholischen Kirche.

Die folgenden 24 Jahre änderte sich das Gesicht des Ostertorwalls im hier betrachteten Abschnitt nicht. Im Juni 2009 war das Goldstein-Haus jedoch plötzlich von einem Bauzaun umgeben, Bagger rückten an, und nach wenigen Tagen war das zuletzt von vielen Hamelnern nur noch „Zigeunerhaus“ genannte Gebäude verschwunden. An seiner Stelle befindet sich heute ein öffentlicher Parkplatz.

 
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Mit dem Haus ging nicht nur das letzte sichtbare Zeugnis der von den Nationalsozialisten aus Hameln vertriebenen Familie Goldstein verloren, sondern auch ein ungeahnt schönes Treppenhaus, das bis zum Schluss mit zahllosen grünen Jugendstil-Fliesen geschmückt war.

Aufgeschreckt durch diese Entwicklung werden wir aufmerksam verfolgen, in welche Richtung sich die Pläne zur zukünftigen Nutzung und Gestalt der ehemaligen Feuerwache (1924 und 1936) am Ostertorwall entwickeln, die mit dem charakteristischen Leitstellenhäuschen (1960er/70er Jahre) und der benachbarten Banneitz’schen Villa (1900) ein wichtiges Ensemble am Rande der Altstadt bildet.

Autor: Joachim Schween

 
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