Kalenderblatt - Zuchthaus
18. Oktober 1935 -
Das Gefängnis Hameln wird zum Zuchthaus des NS-Regimes
Am 18. Oktober 1935, vor 75 Jahren, traf ein Transport mit 43 politischen und 50 weiteren Gefangenen aus dem Zuchthaus Celle kommend im leeren Gefängnis am Münsterwall ein. Dessen gut 500 Insassen waren in den Monaten zuvor in andere Gefängnisse oder in Straflager wie die berüchtigten Emslandlager verlegt worden. Als Folge der immer härter werdenden Urteile der NS-Justiz konnten die vorhandenen Zuchthäuser die Zahl der neuen Gefangenen nicht mehr verkraften. Deshalb sollte das mehr als 100 Jahre alte Gefängnis Hameln ab sofort als Zuchthaus dienen. So wurden durch die Umwandlung bestehender Strafeinrichtungen die dringend benötigten zusätzlichen Kapazitäten geschaffen.
Die Strafanstalt Hameln, Luftbild von 1959 (Quelle: Stadtarchiv Hameln) Bis Ende
der 1970er Jahre nahm die Hamelner Strafanstalt ein großes Areal südlich der
Altstadt zwischen Münsterwall, Mühlenstraße, Weser und der heutigen Straße
„Am Stockhof“ ein. Das repräsentative Eingangsgebäude und der große Zellen-
und Werkstättenbau sind als Hotel „Stadt Hameln“ bis heute erhalten.
Abgesehen von einer Erhöhung der Außenmauer änderte sich das bauliche Erscheinungsbild des neuen Zuchthauses kaum. Auch das Personal blieb zunächst das alte. Doch innerhalb der Mauern galten jetzt noch härtere Lebens- und Arbeitsbedingungen. Das NS-Regime wollte die Zuchthausstrafe als besonders scharfe Form der Bestrafung unnachsichtig exekutieren. In den Strafanstalten wurden die Haftbedingungen ab 1933 vor allem durch die Überbelegung, durch Senkung der Kosten für die Versorgung der Gefangenen und durch verstärkten Arbeitseinsatz verschärft. Gefangenenrechte wurden abgeschafft.
Hans Frank, Präsident der Akademie für Deutsches Recht, befand 1937: „Der Strafvollzug im nationalsozialistischen Staat wird streng und gerecht, aber im Einklang mit dem Volksgewissen durchzuführen sein. Er teilt sich in drei große Gebiete: Vernichtung des gemeinen Verbrechers, Strafe des straffällig Gewordenen und Erziehung des Besserungsfähigen.“[1]
Meist mit großen Sammeltransporten von bis zu 100 Mann kamen bis Jahresende über 600 Zuchthaussträflinge nach Hameln, darunter rd. 350 politische Häftlinge. Bald bestand die neue Zuchthausbelegschaft zu fast zwei Dritteln aus „Politischen“. Es handelte sich in der Regel um KPD- und vor allem SPD-Anhänger, die wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu oftmals langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt waren und während der Untersuchungshaft die Folter-Keller der Gestapo durchlitten hatten.
Karl Baller (Quelle: Archiv Gelderblom) Karl Baller
(1902-1944) kam 1937 nach Hameln, zu Zuchthaus ver-
urteilt als Mitglied der größten hannoverschen SPD-
Widerstandsgruppe, der „Sozialistischen Front“. Nach
Strafende 1938 brachte ihn die Hamelner Polizei ins
hiesige Gerichtsgefängnis, von wo er ins KZ Sachsen-
hausen verschleppt wurde. 1944 zur SS zwangsrekru-
tiert, wurde er Ende des Jahres vermutlich während
eines Fluchtversuchs in der Slowakei erschossen.
Bereits zwischen 1933 und 1935 waren im Hamelner Gefängnis fast 500 gerichtlich verurteilte politische Gefangene und mehr als 500 zumeist politische „Schutzhäftlinge“ (= ohne Einbeziehung der Gerichte willkürlich Verhaftete) festgehalten worden. Zwischen Oktober 1935 und März 1945 wurden insgesamt 1000 Deutsche aus dem linken politischen Spektrum oft für einen längeren Zeitraum im Hamelner Zuchthaus inhaftiert.
Sie blieben beileibe nicht die einzigen nichtkriminellen Insassen: Hunderte, ja Tausende von Männern mussten bis 1945 bis zu mehreren Jahren hier einsitzen, weil sie Juden, Homosexuelle und – ab 1939 –widerständische Ausländer oder sogenannte „Kriegstäter“ (z.B. Hörer ausländischer Sender) waren. Von den „gewöhnlichen“ Kriminellen waren viele nur aufgrund der völlig überzogenen Urteile der NS-Justiz im Zuchthaus gelandet.
Nachdem sie ihre Strafe in Hameln verbüßt hatten und ihre Freilassung erwarteten, wurden mindestens 800 ehemalige Zuchthaushäftlinge in KZs verschleppt. Eine willfährige Justiz lieferte sie am Zuchthaustor der Polizei aus. Weitere gut 400 Männer kamen vom Zuchthaus in eines der Strafgefangenenlager der Justiz. Nicht wenige von ihnen haben die mörderischen Umstände in den Lagern nicht überlebt.
Über 450 Gefangene verloren bis 1945 im Zuchthaus selbst und im Außenlager Holzen bei Eschershausen ihr Leben. Für viele andere wurde die „Evakuierung“ vor den heranrückenden US-Truppen im April 1945 zum „Todesmarsch“.
Das NS-Regime machte die Strafanstalten, mit rückhaltloser Unterstützung der Justiz, zu einem zentralen Bestandteil ihres Verfolgungs- und Terrorapparats. Hierfür steht das Zuchthaus Hameln exemplarisch.
Autor: Dr. Mario Keller-Holte
Eine Langversion des Kalenderblattes (PDF-Format) kann heruntergeladen werden.
Mehr zum Thema siehe http://www.gelderblom-hameln.de/zuchthaus/nszeit/zuchthausnszeit.html.
[1] Justiz im Nationalsozialismus. Katalog zur Ausstellung, Baden-Baden 2002, S. 25