Kalenderblatt - Rattenfängerfigur Klüttunnel

30. Oktober 1897 -

Einweihung des Klüttunnels und
der Rattenfängerskulptur von Sander

Vor 115 Jahren, am 30. Oktober 1897, wurde die Bahnverbindung zwischen Lage und Hameln feierlich eingeweiht. Ein Großteil der Schienenstrecke war bereits 1896 fertiggestellt worden. Doch zwei Hindernisse verzögerten die Vollendung der Gesamtstrecke: der Klüt und die Weser. Sie zu überwinden erforderte Kosten, Ingenieurskunst und Zeit. Der Klüt wurde auf einer Länge von 316 Metern durchstoßen; direkt dahinter wurde eine mächtige Stahlbrücke über die Weser geführt. Beide Bauten galten den Zeitgenossen als Künder des Fortschritts und des Siegeszugs der Industrialisierung. Zur Einweihung fanden sich dann auch hohe Amtsvertreter der preußischen und der lippischen Regierungen ein, unter ihnen der hannoversche Oberpräsident Rudolf von Bennigsen.

Während die Brücke als Beispiel eines nüchternen Zweckbaus dienen kann, erhielt der Klüttunnel, typisch für viele technische Bauwerke dieser Zeit, schmückendes Beiwerk. Die Ummauerung der Tunneleinfahrt wurde zur Hamelner Seite hin mit einer Rattenfängerfigur bekrönt, die der Bildhauer H. Sander aus Hannover geschaffen hatte.

Wie die historische Postkarte zeigt, konnte sich der Bildhauer eine grobe Ausführung der Sagengestalt erlauben. Die Höhe der Anbringung und die Entfernung des Bahnsteigs zur Tunneleinfahrt ermöglichte die Betrachtung nur auf eine Distanz von mehreren Metern. In Anbetracht dieser Platzierung fiel Sanders Rattenfänger recht detailfreudig aus. Die Feder am Hut, die Locken und der Schnauzbart sind kleinteilig ausgeführt, der Wams spannt sich über dem Bauch und der Umhang entwickelt einen fantasievollen Faltenwurf. Um der aufrecht stehenden Figur mehr Spannung zu verleihen, hat sich der Künstler am klassischen Ideal der „figura serpentinata“ orientiert. Durch eine leichte Körperdrehung, das angewinkelte linke Bein und die erhobenen Arme wird der Flötenspieler dynamisch gestaltet. Einzelne Teile stehen hinter dem Anspruch einer lebendigen Darstellung zurück, besonders die Hände sind zu massig geraten. Geschildert ist jener Moment der Sage, in dem die Ratten zur Weser gelockt werden. Um die Nähe des Flusses zu verdeutlichen, zeigt Sander den Rattenfänger an einen Poller gelehnt, an dessen Eisenring Schiffe vertaut werden können.

Von der Bahnlinie Hameln-Lage sind heute nur noch wenige Spuren geblieben. Ende der 1970er Jahre wurde sie im Zuge der Bahnreform als unwirtschaftlich bewertet, 1980 stillgelegt und einige Jahre später demontiert. In den Tälern der Humme und der Bega kann man heute vielerorts mit dem Fahrrad jene Wege erkunden, auf denen einmal Dampflokomotiven verkehrten. Die Bahnhöfe verfielen und wurden abgerissen, manche sind als Wohnhäuser umgebaut und, wie der Bahnhof Groß Berkel, liebevoll gestaltet. Als imposantes Erinnerungsstück ist vor allem die rostige Eisenbahnbrücke über die Weser geblieben. Damals das mit Stolz betrachtete Zeichen einer neuen Zeit wird sie heute wie eine Altlast behandelt, derer man sich nur aus Kostengründen nicht entledigt.

Erhalten blieb auch die Rattenfängerfigur von H. Sander. Nach Stilllegung der Bahnstrecke wurde sie zunächst in der Schalterhalle des Bahnhofs Hameln aufgestellt. Im Anschluss an die gründlichen Sanierung und Umgestaltung des Bahnhofsgebäudes, die 2006 abgeschlossen wurde, hatten die Stadtwerke Hameln als dessen neuer Besitzer für dieses Objekt offenbar keine Verwendung mehr. Es wurde an einen Privateigentümer abgegeben und begrüßt nun, eingefasst von verspiegelten Stützpfeilern, im Foyer des Hotels Mercure am 164er Ring die Gäste der Rattenfängerstadt. Warum es nicht in öffentliche Hände kam, zum Beispiel ins Hamelner Museum, ist nicht bekannt.

  

Autor: Dr. Martin Hellmold

  

Quellen:

Heinrich Spanuth, Geschichte des Stadt Hameln, 1983

http://www.bahnhof-hameln.de/bahnhof/historie.html

Gerhard Piper, Blickpunkt(e) Hameln, 2012

 
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