Orte der Erinnerung für die Opfer des Nationalsozialismus
im Kreis
Hameln-Pyrmont und angrenzenden Orten
Holzen
Texte und Fotos: Bernhard Gelderblom
Das Zuchthausaußenlager Holzen
Im Juli 1944 errichtete die Verwaltung des Hamelner Zuchthauses 45 km südlich von Hameln ein Außenlager beim Dorf Holzen in der Nähe der Stadt Eschershausen. Es sollte zur Entlastung des überfüllten Zuchthauses dienen und Arbeitskräfte für ein riesiges Rüstungsprojekt stellen, das in den unterirdischen Stollen des „Hils“-Berges errichtet wurde. Das Lager umfasste fünf Baracken und war mit einem elektrisch geladenem Zaun eingefasst.
Ausgelegt für gut 400 Mann, war das Lager meist deutlich überbelegt. Mindestens die Hälfte der Insassen stammte aus den Benelux-Ländern und Frankreich, in der Regel Widerstandskämpfer gegen die deutsche Besatzung.
Die entkräfteten Häftlinge mussten die Stollen für die unter Tage geplante Rüstungsfabrik erweitern. Beim Abschlagen des hängenden Gesteins kam es zu schweren Unfällen. In den Lager-Baracken herrschte drangvolle Enge. Die sanitären Verhältnisse waren katastrophal. Der Hamelner Zuchthausdirektor Stöhr formulierte am 19. Februar 1945 in einem Bericht:
„Die Gesundheitsverhältnisse der Gef. (= Gefangenen) sind sehr ungünstig und die Sterblichkeit erheblich. ... Die Kleidung der Gefangenen ist dabei völlig ungenügend, die Wäsche kann nur etwa alle 4 Wochen gewechselt werden, das Ungeziefer ist daher nicht aus den Baracken herauszubekommen.“ (Quelle: Bundesarchiv Berlin)
Misshandlungen und drakonische Strafen, wie das qualvolle „Pfahl-Stehen“ und eine Hinrichtung durch den Strang, der die Mithäftlinge beiwohnen mussten, bestimmten den Alltag. Über 30 Hamelner Häftlinge haben den Aufenthalt im Lager nicht überlebt. Die meisten Toten wurden auf dem Gemeindefriedhof Holzen bestattet und 1946 auf den im Hils neu angelegten „Ehrenfriedhof“ für NS-Opfer umgebettet.
Das aus dem Zuchthaus Hameln abgeordnete Wachpersonal ist für seine Grausamkeit nie zur Rechenschaft gezogen worden.
Lageplan des Zuchthausaußenlagers Hameln
Sowohl die „Panzerstraße“ wie die Barackenfundamente des Zuchthausaußenlagers sind bis heute gut erhalten.
(Quelle: Detlef Creydt, Rekonstruktion nach der Aufnahme der Deutschen Grundkarte, 1953,
Blatt Holzen Nordost und nach Zeitzeugenaussagen, in Detlef Creydt und August Meyer,
Zwangsarbeit für die Wunderwaffen in Südniedersachsen 1943-1945, Band 1, S. 149)
Das Lager liegt heute im Wald verborgen. Seine Reste sind in Gestalt der fünf Barackenfundamente aus Beton im Waldboden gut erkennbar. Zu erreichen ist der Ort über die Straße von Holzen zum Gasthof Roter Fuchs und nach Grünenplan und über eine Betonstraße, die auf halber Höhe nach links abzweigend in den Wald führt.
Die zum ehemaligen Zuchthausaußenlager führende Betonstraße („Panzerstraße“)
Fotos Gelderblom 2011 und 2012)
Spuren der Barackenfundamente im Waldboden (Fotos Gelderblom 2008 und 2012)
Bis heute besuchen ehemalige Insassen des Zuchthausaußenlagers Holzen und ihre Angehörigen diesen Ort. Er ist weder durch einen Wegweiser noch durch eine Informationstafel kenntlich gemacht.
Links: Der Niederländer Piet Matthaijssen mit seinem Sohn 2013 bei einem Besuch der Überreste des Zuchthausaußenlagers (Foto Gelderblom 2013)
Piet Matthaijssen machte am 5. April 1945 den 40 Kilometer langen Todesmarsch vom Zuchthaus Hameln zum Zuchthausaußenlager Holzen mit und
wurde dort wenige Tage später von den US-Truppen befreit.
Rechts: Der Niederländer Hans Golstein mit seiner Schwester 2022 auf der Suche nach den Spuren seines Onkels Marinus Golstein (Foto Gelderblom 2020)
Nach seinem mörderischen Arbeitseinsatz im Zuchthausaußenlager Holzen wurde Marinus Golstein als „nicht außenarbeitsfähig“ in das Zuchthaus Hameln
zurückverlegt. Er starb nach der Befreiung am 14. Mai 1945 in Hameln. Sein Leichnam wurde auf dem Friedhof Am Wehl bestattet (F II/30) und
später auf das niederländische Ehrenfeld in Hannover-Seelhorst überführt.
Die Nachgeschichte des Zuchthausaußenlagers
Das ehemalige Zuchthausaußenlager als Kinderheim Rübezahl, undatiert
(Quelle: Detlef Creydt, Zwangsarbeit für Industrie und Rüstung im Hils 1943-1945, Band 4, Holzminden 2001, S. 151)
Nach dem Krieg diente das Lager vorübergehend als Unterkunft für Flüchtlinge. Später (seit 1952/53) wurde es zum Kinderheim „Rübezahl“ unter Leitung des Diakonischen Werks Hildesheim umfunktioniert. Dort existierte es bis zu seiner Schließung im Jahre 1972.
Die katastrophalen Zustände im Kinderheim Rübezahl wurden von der Heimaufsicht des Landesjugendamtes Niedersachsens in den 1950er und 1960er Jahren zugedeckt.
Seitens der verantwortlichen Diakonie in Hildesheim wurde eine Aufarbeitung zwar begonnen, aber Ende der 2000er Jahre nicht mehr weitergeführt. Es blieb bei einer Entschuldigung von evangelischer Kirche und diakonischem Werk, welche die ehemaligen Heimkinder nicht annehmen mochten.