"Erinnerungsort Zwangsarbeit" am Weserufer in Hameln

Edmund Bednarek
Janina Bartos
Marija Sapliwaja
Marianna Matusiak
Merem Ibragimowa
Helena Wojcinska und weitere Kinder
Jozef Butniak
Kazimierz Wyszkowski
Ljudmila Boryskina
Jerzy Lewandowski
Monika Kicman
Leokadia Gawronska
Olga Barbesolle
Nastayia Antoniez

 

Monika Kicman

Aus Polen 1944 mit ihrem Sohn nach Hameln verschleppt, musste sie als Zwangsarbeiterin
in der Wollwarenfabrik Marienthal in Hameln arbeiten.

 

Monika Kicman in ihren 2002 als Buch publizierten Erinnerungen an die Zeit der Deportation nach Hameln:

„In dem Waggon waren ungefähr 60 Personen und noch zwei Kinderwagen. Ich und mein Sohn saßen in einer Ecke zusammen gedrückt. Wir hatten fast nichts mehr zu essen.

Die Umstände in unserem Waggon waren unerträglich. Die Babys weinten furchtbar. Die Mütter hatten keine Muttermilch. Es war grausam. Unter einer Kerze haben wir ein wenig Wasser mit Zucker warm gemacht, damit die beiden kleinen Babys wenigstens für kurze Zeit gestillt wurden.

Wir fuhren weiter. Ich verlor schon das Zeitgefühl und fühlte mich sehr schwach. Ich weiß nicht mehr, wie lange die Fahrt dauerte. Die Bahnstation, an der wir ankamen, hieß Hameln. Wir wurden durch die Stadt in einer Kolonne geführt. Man spürte die hasserfüllten Blicke der Passanten und ab und zu hörte man: ‚Polnische Banditen, Warschauer Aufständige‘.

Als erstes wurden wir fotografiert und wir bekamen Nummern. Die nächste Etappe war das Arbeitsamt. Gleich auf der Straße suchten sich die Deutschen die Arbeitskräfte aus. Sie schauten sich unsere Hände darauf an, ob man arbeitsfähig war. Meine Gruppe wurde schließlich von einem Deutschen weg geführt.

Wir kamen in eine Fabrik, die am Stadtrand lag. In der Baracke, die uns zugewiesen wurde, standen an einer Wand Betten und gegenüber Schränke. Es gab keine Öfen und keine Möglichkeit, etwas zu kochen.

In der Wollwarenfabrik Marienthal wurden Militärdecken hergestellt. Wir mussten die Lumpenbündel in die Reiß-Maschinen hinein werfen. Man konnte kaum etwas sehen, so staubig war es. Die Arbeit war sehr anstrengend. Wir arbeiteten von 6 Uhr morgens bis 12 Uhr mittags. Dann gab es eine halbe Stunde Pause. Wir kriegten die Suppe, fast immer aus Kohlrüben und Kohl.

Um 6 Uhr abends war Feierabend. Als Abendessen bekamen wir einen Kessel voll mit Pfefferminztee und dazu etwas Brot. Erst später bekamen wir – nur für die Kinder – eine Zuteilung für Fleisch, 100 Gramm pro Woche.

Die Arbeit in der Fabrik wurde für mich immer schwieriger. Meine Augen taten weh vom Staub, meine Beine und meine Hände waren nicht in Ordnung. Dazu wurde mein Sohn krank. In der Nacht war er heiß und gegen Morgen kriegte er einen Hautausschlag. Es ging ihm sehr schlecht. Die Frauen aus der Baracke vermuteten, dass es Scharlach war.

Ich habe meinen „Armen“ zugedeckt und mit beklommenem Herzen ging ich in die Fabrik. Während der Pause ging ich ins Büro, um die Medizin zu holen. Zum Glück habe ich diese bekommen. Als ich in die Baracke kam, war mein Maciek sehr heiß und lag fast bewusstlos. Mit großer Mühe nahm er die Medizin.

Wenn ich in einer Sonderkommission zur Beurteilung der Schuld der Deutschen gewesen wäre, dann würde ich neben eine Anklage wegen Völkermord auch eine Anzeige erstatten, dass die Deutschen uns dadurch gequält haben, dass sie uns nicht genug zum Essen gaben. Es geht mir nicht so sehr um uns Erwachsene, sondern um die kleinen, unschuldigen Kinder. Es wurden damals keine Tonaufnahmen gemacht; sonst könnte man jetzt alles wiedergeben. Diese Bettelei! Wenn man selbst hungrig ist, ist das eine Qual, und wenn man dann noch das eigene Kind hungern sieht und hören muss, wie es um Essen bettelt, und man hat nichts für das Kind – ein Entsetzen!

Jedem von uns wäre es schwer ums Herz gewesen, wenn er z.B. nur das Gespräch zwischen Frau Kwinto und ihren Kindern gehört hätte, bevor sie zur Arbeit ging.

‚Krzysiuniu und Agna, ich bitte Euch, lasst bitte die Brotrinden im Schrank, sonst – was gebe ich Euch zum Abendbrot!‘

‚Mami, erlaube uns mindestens die Hälfte von der Zwiebel und nur ein Stückchen Zucker zu essen.‘

Frau Kwinto ging mit Tränen in den Augen zur Arbeit. Am Abend, als sie zurück kam, waren die Brotrinden nicht mehr da. Die Mutter weinte und die Kinder küssten die Mutter und weinten mit. Es war grausam.

Zu den schlimmsten Erlebnissen gehörten die Luftangriffe – schlaflose Nächte, hochgespannt, immer in Erwartung und bereit, weg zu laufen. Wir waren todmüde. Es war nicht möglich, sich nach dem Arbeitstag in der Fabrik auszuruhen. Wir lebten immer in Spannung und Stress. Die Flugzeuge, die nach Berlin oder Hannover flogen, flogen immer über uns hinweg.

Einmal kamen wir nach einem Luftangriff zurück aus dem Wald. Da erschien plötzlich eine Gruppe von Hitlerjungen und hat uns mit Schneebällen und Steinen beworfen. Ich sprach einen von ihnen an, dass so etwas nicht schön sei und dass man so etwas nicht mache. Er lachte nur und antwortete:

‚Schön nicht, aber es macht Spaß!‘

Ich schaute mir das Gesicht an, so ein hübsches Gesicht und dachte, dass sogar die Kinder vollgestopft sind mit Hass. Wie lange wird man brauchen, das alles zu heilen und den Hass aus den Köpfen weg zu kriegen?

Die Lebensumstände wurden von Tag zu Tag immer schlimmer. Manchmal kriegten wir nur etwas Suppe und etwas Brot. Aber das war immer zu wenig.

Am 25. März, das war ein Sonntag, waren wieder Luftangriffe. Dieser Tag war das Jüngste Gericht für Hameln. Man hatte das Gefühl, dass die Flugzeuge nie mehr aufhören würden zu bombardieren. Am Nachmittag ging die Bombardierung wieder los. Wir liefen weg und haben es dieses Mal nicht geschafft, uns im Wald zu verstecken. So war es jetzt fast jeden Tag.

Dann kamen die Amerikaner. Wir konnten endlich raus aus unserem Versteck und tief aufatmen. Endlich bekamen wir genug zu essen. Aber diese Esserei hatte schlimme Folgen für unsere ausgehungerten Mägen. Wir bekamen auch neue Kleider zum Anziehen.

Ein paar Tage später konnten wir unsere Baracke verlassen und kamen in die Linsingen-Kaserne. Ich und mein Sohn wohnten in einem eigenen Zimmer.

In der Linsingen-Kaserne blieben wir nicht lange. Eines Tages kamen Freunde und holten uns ab. Das Gut in Haus Harderode war schön. Um das Haus herum war ein großer Park, bildschön. Gleich habe ich dort eine Schule organisiert. Ich wollte den Kindern Polnisch beibringen. Manche von ihnen konnten keinen Satz auf Polnisch sprechen.“

 

Bearbeitung: Bernhard Gelderblom

 

 
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